Montag, 17. September 2012

Der Text verzichtet völlig auf Wortspiele
wie „den Bundestag entern“. Schade.
Die Piratenpartei kämpft ums Überleben. Zumindest kann man das denken, wenn man sich die Umfragen der letzten Monate anschaut. Lag die Nerd-Partei Mitte Mai bundesweit noch bei 12 Prozent Zustimmung, rauschten die Werte jetzt institutübergreifend wieder nahe an die 5-Prozent-Hürde.

Journalisten, die den Aufstieg der Partei wohlwollend begleitet haben, finden nun überall Erklärungen dafür, dass das Piraten-Phänomen bald zu Ende geht.

Die Piraten machen es denen aber auch leicht. Ich habe mir am Wochenende mehrere Stunden den Livestream des Landesparteitages der Berliner Piraten angeguckt. Was da für Typen rumlaufen und wie der Umgangston zwischen den Parteimitgliedern ist, kann einen fassungslos machen.

Beispiel? Michael Hartung kandidierte dort erfolglos für den Landesvorsitz. In seiner Vorstellung forderte er die Guillotine für den heutigen Adel. Ernsthaft. Ein Delegierter fand das gar nicht lustig. Er bemerkte, er sei ein Adelsnachfahre und einige seiner Vorfahren wären im KZ gestorben. Er fragte Hartung, ob dieser nicht seine Forderung noch einmal überdenken könne. Dessen Antwort war so unmissverständlich wie atemberaubend: Nein.

Aber ich wollte ja eigentlich die Piraten loben, mich vom publizistischen Trend abkoppeln. Also vergesst das, was da oben steht. Es gibt nämlich Gründe, warum die Piraten noch längst nicht erledigt sind. Es gibt sogar Gründe, warum die Piraten bald sehr mächtig in diesem Land werden (können).

Einkommen. Die Piraten sind die Noch-nicht-Besserverdiener. Die Hauptzielgruppe der Piraten sind junge Menschen, die offen für Veränderungen sind. Viele verdienen ihr Geld mit, im oder indirekt durch das Internet, das immer umfassender wird. Der Anteil der alten Industrien, wie der der Automobilindustrie, wird immer weiter abnehmen. Es gibt Branchen, wie die Medien, die fast einen 1:1-Transfer ihrer Einnahmen ins Internet befürchten. Die Piraten rekrutieren ihre Mitglieder und Wähler also größtenteils aus dem Teil der Bevölkerung, der demnächst über sehr hohe Einkommen verfügt. Geld ist Macht. Geld ist sexy. Diese beiden Grundsätze werden auch in dieser Revolution ihre Gültigkeit nicht verlieren.

Demographie. Die stärkste Piratengeneration ist die der jetzt 25- bis 40-Jährigen. Diese Generation gehört zum letzten noch relativ starken Geburtenjahrgang. Optimal für die Partei. Wenn sie erstmal etabliert ist (und das ist sie, wenn sie in den Bundestag einzieht), werden es zukünftig neue Bewegungen schwer haben. Alle politisch relevanten gesellschaftlichen Bewegungen entstehen in den jüngeren Jahrgängen – zuletzt war das bei den Grünen zu beobachten oder weltweit bei der Arabischen Revolution. Wachsen bei uns jetzt weniger Junge nach, wird das politische System langfristig ohne neue Parteien auskommen.

Professionalisierung. Bei den Piraten bilden sich sehr bald professionelle Strukturen. Mit einem Einzug in weitere Landtage oder dem Bundestag werden immer mehr Piraten von der Politik leben können. Diese haben einen entscheidenden Vorteil in der innerparteilichen Auseinandersetzung gegenüber den Ehrenamtlichen – weil sie eben nicht nebenbei noch ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Damit entwickelt sich zwangsläufig die von ihnen so vehement abgelehnte Hierarchie in der Mitgliedschaft. Und dann wird es nicht lange dauern, bis „die da oben“ professionellen Strukturen verlangen, um möglichst effektiv arbeiten zu können.

Wenn die Piraten ihre innerparteilichen Konflikte wieder etwas aus der Öffentlichkeit heraushalten, wenn sie zur Bundestagswahl ein respektables umfassendes Wahlprogramm vorlegen, dann sollte die 5-Prozent-Hürde tatsächlich zu schaffen sein.

Dann stehen sie den Fleischtöpfen der Macht ganz nahe. Aber: Korruption, Machtgeilheit und andere negative Nebenerscheinungen, die sie heute noch an den „Etablierten“ kritisieren, inklusive.


tl;dr: Die Piratenpartei ist noch längst nicht erledigt. Kommt sie in den Bundestag, steht ihr eine goldene Zukunft bevor.


2 Kommentare:

  1. Den Ruf nach "professionell" hast du überhört? Hm. Den gibt es schon, wobei auch hier die Frage ist, wie weit man geht und wie man das überhaupt definiert.

    Geht man von "kippen ins Wiki" und danach "das steht im Netz" aus, dann darf da ruhig mehr davon kommen. Im Sinne von Parteiräten die der Vorstand bestimmt, der Auflösung lockerer Gruppen hin zu weisungsbindenden Arbeitsgruppen, dann darf dort das wegbleiben. Gehts um Strukturen in Arbeitsgruppen (AGs oder Squads) um konkrete Initiativen rauszukriegen, dann wieder mehr.

    Prinzipiell sind die Strukturen auch nicht falsch, denn warum sollen 16(17) mal die gleichen Ideen neu von vorn angedacht werden? So lange die Möglichkeit existiert, auch mit neuen Ideen zu kommen und dabei nicht unbedingt "den Weg durch die Instanzen" gehen zu müssen sondern hier politisch sehr niedrigschwellig gearbeitet wird und die Begründung/Idee durchdacht ist, kann das wirklich klappen.

    Wenn es möglich ist, die Hürden noch weiter zu senken und auch z.B. dem Verkäufer im Einzelhandel mit Schichtdienst zeitlich sinnvoll eine Mitwirkungsmöglichkeit zu geben, dann sind Ideen immer gern gesehen. Immerhin ist die Hürde mit dem Stellen von Anträgen und dem Kandidieren auf Landes- und Bundesebene schon geringer, als bei Vorgaben durch einen Parteirat oder das Kämpfen durch mehrere Delegiertenebenen. Da helfen nicht mal spontane Urabstimmungen in einer Einzelfrage mit mehr oder weniger Unterstützung durch die gewählten Vorzeigevertreter bei verschiedenen anderen Parteien.

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  2. Zwischen einem Ruf und der Einführung von strukturellen Reformen ist ja noch ein langer Weg. (-;

    Gegen mehr Mitbestimmung (übrigens in allen Parteien) habe ich nichts. Es freut mich, wenn die Piraten hier sogar neue Formen finden.

    Aber ewige Debatten auf Parteitagen oder in Foren sind alles andere als professionell. Auch wird der Tag kommen, an dem die Piratenpartei zu aktuellen Entwicklungen spontan eine offizielle Meinung abgeben muss und nicht "auf den laufenden Diskussionsprozess in unserer Partei" hinweisen muss.

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